Bei klimatisierten Räumen gibt die Luftwechselrate an, wie oft das komplette Raumvolumen an Luft innerhalb von einer Stunde ausgetauscht wird, damit genügend Sauerstoff für alle vorhanden ist.
Für Büroräume wird von der Norm ein Wert von 3-6 Luftwechsel vorgeschlagen. Kommt nun der Angstschweiß von Studenten, z. B. bei Prüfungen im Hörsaal, dazu, werden 8-10 Luftwechsel pro Stunde empfohlen. Klimaanlagen werden also so dimensioniert, dass der geforderte Volumenstrom, bezogen auf die Raumgröße, eingehalten werden kann. Die Qualität des Luftaustausches wird dagegen selten bewertet. Immerhin wäre ja denkbar, dass der Kubikmeter frische Luft gleich wieder in der Absaugung verschwindet, ohne für ein besseres Raumklima und frischen Sauerstoff zu sorgen. Da die Norm der Quantität vor der Qualität den Vorzug gibt, nach dem Motto: „Viel hilft viel“, ist die Lösung in den meisten Gebäuden eine eher zu große Klimaanlage.
Nun gibt es aber sowohl in den eigenen vier Wänden, aber auch in älteren Büroräumen nur „Klimaanlagen“ in Form von zu öffnenden Fenstern. Besonders im Winter gibt es Fraktionen, die lieber erfrieren, als im Mief zu ersticken, andere haben mit zu wenig Sauerstoff kein Problem, sehr wohl aber mit kalten Temperaturen. Eine geschlechtsspezifische Zuordnung dieser beiden Extremfälle zu Männern, Frauen und bis jetzt nicht vorhandenen Diversen lasse ich aus möglichen Diskriminierungsgründen weg, obwohl sich hier für mich ein eindeutiges Bild ergibt!
Zunehmend kommt es aber aufgrund massiver Wärmedämmungsmaßnahmen sowohl bei renovierten als auch bei neuen Gebäuden vermehrt zu Schimmelbildung, da angesammelte Feuchtigkeit aufgrund unzureichender Lüftung für ein kleines Biotop an der Schlafzimmerdecke sorgt.
Nachdem ich erst kürzlich Zeuge gegenseitiger Beschuldigungen eines Ehepaars wurde, dass die Eine zu wenig lüftet, während der Andere nicht definieren konnte, wie lange denn genau das Fester aufgemacht werden sollte, habe ich beschlossen, mich diesem Thema ingenieurwissenschaftlich mit Brute-Force-Methoden zu nähern.
Wieder einmal musste unser Vertriebsraum im Gebäude der Merkle CAE Solutions herhalten, nicht, weil er an ein Schlafzimmer erinnert, sondern weil wir hier bereits ein CFD-Modell erstellt haben, welches wir modifizieren können.
Die nackten, wissenschaftlichen Daten:
Raumvolumen: 168,75 m³
Offene Fensterfläche: 1,1155 m²
Außentemperatur: -7 °C
Innentemperatur beim Öffnen des Fensters: 21 °C
3 Heizkörper mit jeweils 88,2 W
Die Innentemperatur des Raumes stellt sich bei Berücksichtigung des Wärmedurchgangs an den Wänden und der zugeführten Wärme stationär bei etwa 20,9 °C ein.
Ja, eine Außentemperatur von -7 °C und darunter haben wir auf der rauen Ostalb trotz fortschreitendem Klimawandels des Öfteren in diesem Winter gehabt. Auch Schneefall ist uns hier nach wie vor nicht fremd, was ich durch fotographische Aufnahmen belegen kann.
Aber zurück zum Thema:
Ausgehend von einem behaglich geheizten Raum, reißen wir in unserem Szenario ein Fenster auf und schauen, was passiert.
Wir verfolgen die ein- und austretenden Volumenströme und die mittlere Temperatur im Raum.
Da warme, verbrauchte Luft durch das gleiche Fenster am Gebäude strömt, wie die kalte Außenluft nach innen, kann vom geöffneten Fenster nur die Hälfte der Fläche jeweils nach innen und nach außen durchströmt werden. Genauer gesagt, der Massenstrom muss im Mittel 0 sein. Da kalte Luft eine höhere Dichte hat, ist der Flächenanteil hier etwas kleiner.
Die Randbedingungen der Außenumgebung haben einen nicht zu vernachlässigten Einfluss und müssen im Rechenmodell sauber beschrieben werden. Nach Lehrbuch müsste die Umgebung mit etwa 10 Raumlängen abgebildet werden, was aber zu sehr großen Rechenmodellen und langen Rechenzeiten führen würde. Es ist also lohnenswert, sich hier Gedanken zu machen, wie man für die Simulation physikalisch sinnvolle Bedingungen und Einstellungen in der verwendeten Software (in unserem Fall Star CCM+) wählt.
Hier nun einige Ergebnisse aus der CFD-Simulation.
Der einströmende und ausströmende Volumenstrom der Luft liegt bei jeweils ca. 0,16 m³/s, bzw. bei 576 m³/h und bleibt über den betrachteten Zeitraum von 5 Minuten nahezu konstant.
Die mittlere Temperatur im Raum sinkt gemäß Abbildung 2 nach 5 Minuten um 3,2 K. Auch die Wände und die Einrichtung kühlen etwas ab und müssen daher in der Bilanz mitbetrachtet werden.
In dieser Zeit werden etwa 48 m³ Luft ausgetauscht, was etwa 30% der gesamten Luftmenge im Raum entspricht.
Die Strömungsgeschwindigkeiten rein und raus liegen im Mittel bei ca. 0,54 m/s.
Die Luftwechselrate beträgt somit bei einem geöffneten Fenster und den genannten Randbedingungen 3,4, ist also gar nicht so schlecht.
Interessant ist, wie die kalte Luft, die ja schwerer ist wie warme Luft, den Raum von unten gleichmäßig füllt. Wie ein Wasserbecken, dass langsam vollläuft…Will man die gesunkene Raumtemperatur nach 5 Minuten wieder auf den ursprünglichen Wert elektrisch aufheizen, kostet uns die frische Luft bei den weltweit höchsten Stromkosten von angenommenen 42 Cent / kWh also etwas mehr als 20 Cent.
Frische Luft durch geöffnete Fenster setzen eine treibende Kraft voraus, die durch den Dichteunterschied der Luft bei Innen- und Außentemperatur gegeben ist. Einströmende Luft und ausströmende Luft besitzen nahezu Außentemperatur und Zimmertemperatur über einen längeren Zeitraum, bis quasi der Raum bis zur Oberkante des Fensters mit kalter Luft vollgelaufen ist.
Bei einer Lüftungszeit von 5 Minuten bei -7 °C und einer Zimmertemperatur von 20 °C werden in unserem Fall etwa 30 % der Luft ausgetauscht. Je mehr Fenster geöffnet sind, desto kürzer ist die Lüftungszeit, um das gleiche Ergebnis zu bekommen. Die Anzahl der Fenster geht dabei nahezu linear ein.
Die Fenster sollten nur solange geöffnet bleiben, wie die Inneneinrichtung und die Wände nicht nennenswert abkühlen. Sinken die Temperaturen der Einrichtungen und Wände bei einer Luftfeuchtigkeit von 80% auf unter 17,4 °C, ist bereits das Schimmelpilzkriterium erfüllt. Den Verlauf der Einrichtungstemperaturen und der Luft können Sie dem nachstehenden Video zur Simulation entnehmen, nach 5 Minuten Lüftungszeit ist also hier schon ein Effekt an Tischen und Wänden bemerkbar.
Bei geringeren Differenztemperaturen zwischen innen und außen sinkt der Volumenstrom und erhöht sich die erforderliche Lüftungszeit entsprechend. Im Sommer bei fast gleichen Temperaturen innen und außen kann das schon mal bedeuten, das Fenster eine halbe Stunde aufzumachen, ohne dass sich viel tut.
Übrigens schätzen die Näherungsformeln in der VDI 2078, welche die erforderliche Kühllast von Räumen mit und ohne Klimatisierung beschreibt, zumindest in unserem Fall den sich einstellenden Volumenstrom mit 0,23 m³/s deutlich zu hoch ab (CFD: 0,16 m³/s).
Aber zurück zu unserem Ausgangsproblem mit der Schimmelbildung im Schlafzimmer.
Zwei Personen scheiden pro Nacht zusammen etwa ca. 500 – 1.000 g Wasser aus. Beim Lüften am Morgen muss diese Menge an Wasserdampf mit der wärmeren Zimmerluft (hoher Wassergehalt) abzüglich der einströmenden, kalten Luft (niedriger Wassergehalt) abgeführt werden. Dies ist bei einer größeren Temperaturdifferenz zwischen innen und außen erst nach ca. einer halben Stunde Lüften der Fall. Bei dieser Wassermenge ist die Luft bei einem angenommenen Raumvolumen von 40 m³ bereits gesättigt, d.h. die Raumluft muss mehrfach ausgetauscht werden, damit die Luftfeuchtigkeit nach dem Lüften am Morgen wieder genauso hoch wie am Abend ist. Ist das Fenster so lange, geöffnet, kühlt der Raum auch aus, d.h. der Wassertransport nach Außen wird noch schlechter.
Wünschenswert sind in einem Schlafzimmer übrigens Temperaturen zwischen 16 °C und 18 °C und eine relative Luftfeuchtigkeit zwischen 45 % und 55 %.
Bildet sich trotz regelmäßiger, ausreichend langer Lüftung trotzdem Schimmel, ist das Problem wohl eher ein anderes. Es können lokal Kältebrücken aufgrund schlechter Isolierung am Gebäude vorhanden sein, an denen Wasser aus der Luft kondensiert (Temperaturen unterhalb des Taupunktes), die Wände oder eine Wand ist aus irgendeinem Grund feucht oder einer der beiden Schläfer ist Bettnässer. Vielleicht gießt die Putzfrau aber auch nur neben den Pflanzen auch den Teppichboden.
Mehr Wasser aus einem Zimmer durch reines Lüften zu bekommen, ist schwieriger, wie jeder weiß, der schon eine Überschwemmung hatte. Man spricht bei den dann notwendigen, professionellen Luftentfeuchtern von Stromkosten in wenigen Tagen von mehreren 100 €. Mit Fenster öffnen für 20 Cent ist es dann leider nicht mehr getan.
Ihr Stefan Merkle
PS: In dem betrachteten Modell sind die Wärmedurchgänge nach außen durch die Wände berücksichtigt, ebenso die Heizungen unter den Fenstern.
PPS: Hat sich Feuchtigkeit erstmal als Wasser an kalten Wänden niedergeschlagen, muss für die Verdampfung des Wassers Wärme zugeführt werden. Pro kg Wasser sind das 2257 kJ. Ein Bautrockner mit 1,5 kW Leistung braucht dafür 25 min.
Die Energie für die Verdampfung des Wassers beim Schwitzen stammt aus dem Körper selbst. Wenn Schweiß auf der Haut verdunstet, entzieht er der Haut Wärmeenergie, die vom Körper abgegeben wird. Diese Wärmeenergie stammt aus der körpereigenen Stoffwechselaktivität und wird verwendet, um den Schweiß zu verdampfen.
Dieser Prozess der Verdunstungskühlung ist ein wichtiger Mechanismus, den unser Körper nutzt, um eine konstante Körpertemperatur aufrechtzuerhalten und Überhitzung zu vermeiden. Durch die Freisetzung von Schweiß auf der Haut wird Wärmeenergie aus dem Körper entfernt, um die Verdunstung des Schweißes zu unterstützen, was die Körpertemperatur senkt.
PPPS: Wer das Schlafzimmer nachrechnen möchte: Luft bei -7°C und 100 % Luftfeuchtigkeit kann gerade mal 2,76 g Wasser pro Kubikmeter trockener Luft aufnehmen. Bei 18 °C sind es bei 100% Luftfeuchtigkeit 15,37 g. Der Volumenstrom nach DIN beträgt 215 m³/h.
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